Lesezeichen am Stück Nummer 11
Der vertraute Fremde
Vier Jahre vor Buchbeginn

Die Kälte, die von dem steinernden Boden aufstieg, kroch Dantra in die Hosenbeine und umschloss seine Füße dabei auf unangenehme Weise.

Sie waren nicht seins. Die sonntäglichen Besuche der Messe, das Sitzen auf viel zu harten Bänken, der Redegesang, dessen Worte sich ihm nicht erschließen wollten und das ewige Ermahnen was von ihm und all den anderen Zuhörern erwartet wird. Nur sie, die Anderen, machten diese sonst so langweilige Pflicht etwas interessanter. Er war mit seinen zwölf Jahren noch zu jung um die sicheren Mauern der Klosteranlage zu verlassen, wie es den älteren seiner Mitschüler gestattet war. So konnte er nur bei dieser Gelegenheit einmal ein paar andere Gesichter sehen. Jedoch hatte selbst diese Abwechslung seit nun mehr drei Wochen es kaum noch geschafft, dass seine Abneigung gegen die Messebesuche nicht in unüberwindbare Höhe heran wächst. Er wusste nicht einmal warum, aber seit besagten drei Wochen hatten es die älteren Jungs, die ihrem Alter entsprechend zwei Bänke hinter ihm saßen, ihn auserkoren um ihre Langeweile etwas erträglicher zu machen. Sie schnipsten fortwährend kleine Stöckchen oder Papierkügelchen an seinen Hinterkopf. Und wenn er sich bemühte dieses vollkommen zu ignorieren, langte auch schon mal einer, wenn es die Gelegenheit zuließ, mit der Hand rüber und schlug ihm in den Nacken.

Da die Messe noch nicht begonnen hatte und somit auch noch nicht die Hänseleien, sah Dantra die rechten Bankreihen der Kapelle entlang. Dort, auf der anderen Seite, kamen die Bewohner der kleinen Stadt zusammen. Strickt getrennt von den Klosterschülern die nach Alter und Geschlecht hintereinander die linken Bankreihen für sich einnahmen.

Die Gesichter, in die Dantra schaute, waren meist dieselben. Hin und wieder fiel ihm auf, dass er das ein oder andere schon länger nicht mehr gesehen hatte, wenn es sich nun wieder schuldbewusst eingereiht hatte. Ein wirklich neues, unbekanntes Gesicht war eigentlich nie dabei. Zwei bis drei Handvoll der Leute waren ausnahmslos immer anwesend. Nichts schien sie dazu bringen zu können die Messe einmal ausfallen zu lassen. So brauchte Dantra nicht lange, um zu bemerken, dass gerade einer von diesen treuen Zuhörern fehlte. Die Abwesenheit des Mannes war für ihn auch so offensichtlich, da dieser nicht nur schon des Öfteren zu Dantra herüber gesehen hatte, was die anderen eigentlich nie taten, er hatte dabei auch schon das ein oder andere mal auf eine irritierende Art vertraut gelächelt.

Die Messe begann und Dantra rechnete jeden Moment damit, dass auch die Drangsalierung aufgenommen würde. Jedoch blieb sie aus. Als sich alle zum Gebet nach vorn auf die Knie beugten, nutzte Dantra die Gelegenheit und drehte sich rasch um. Mit Staunen sah er den Fehler im gewohnten Bild. Zwischen den vermeintlichen Tyrannen, die mit versteinerten Mienen das Gesangbuch, das vor ihnen lag, nicht aus den Augen ließen, saß der Mann, dessen Abwesenheit ihn gerade noch verwundert hatte und lächelte ihn abermals an. Dieses mal jedoch nicht nur auf eine vertraute Art, sondern eher auf eine väterliche. So als wollte er sagen: „Mach dir keine Sorgen, mein Sohn, ich pass schon auf dich auf.“