Lesezeichen am Stück Nummer 15
Ein neues Versteck
S.325

Gedankenversunken sah Nomos zum Fenster hinaus. In der unendlich scheinenden, von den massiven Bergen verformten Schneepracht, zeichneten sich zwei kleine dunkle Punkte und ein etwas größerer ab. Sie entfernten sich zunehmend, bis ihre Konturen schließlich im Abstieg verschwanden.

Mit einem leisen Kratzen der Scharniere wurde die Tür hinter ihm geöffnet. Nomos sah sich um und schaute in die müden aber zufrieden aussehenden Augen eines groß gewachsenen Mannes, der mit einem dicken Fellumhang bekleidet war und eine tief in die Stirn gezogene Mütze trug, dessen Herkunft vom gleichen Tier zu sein schien.

„Marbur, mein treuer Freund und Curso“, begrüßte ihn Nomos freundlich und ging zwei Schritte auf ihn zu. Dann hielt er inne, als wäre ihm eingefallen etwas vergessen zu haben. „Deine Kleidung verrät mir, dass du mir nicht einmal mehr einen Tee vor unserem Aufbruch gönnst?“ „Gönnen? Schon“, gab er mit einer Bassstimme zurück. „Aber unser Weg ist weit und beschwerlich. Je eher wir gehen…“ Er machte einen Schritt zur Seite und drei Mönche, angeführt von Tack, kamen in die Stube. Die zwei hinter dem, nun etwas mitleidig dreinsehenden Tack, gingen ohne zu Zögern in den hinteren Raum und begannen unverzüglich die zahllosen Schriftrollen und Pergamente zusammen zu räumen und ihn große Säcke zu verstauen.

„Nomos“, Tacks Tonfall ähnelte seinem Gesichtsausdruck, „Der Abschied fällt mir außerordentlich schwer.“ Er schluckte würgend. Der Zlif, der ihn nur bis zur Kordel ging, legte behutsam seine kleine wulstige Hand auf dessen Unterarm. „Nicht doch, Tack. Wir werden uns wieder sehen. Ich kann mich nicht erinnern, mich je in einem Versteck so wohl gefühlt zu haben wie hier bei euch. Auch wenn der Aufstieg hierher seiner Zeit eine Tortur war, so sei dir sicher, ich werde sie abermals über mich ergehen lassen. Allein für diese Aussicht…“ Er wandte sich zu dem Fenster um, an dem er gerade noch gestanden hatte. „… diese unglaubliche Aussicht.“

„Nomos?“ Marburs, nun leicht ungeduldig klingende Stimme, holte ihn zurück. „Wir müssen los. Jetzt. Sollte der Besuch verfolgt worden sein oder aber dunkles im Schilde führen…“ „Das glaube ich nicht“, warf Nomos rasch und bestimmend ein. „Wie dem auch sei“, fing Marbur seinen unvollendeten Satz auf. „Es ist Zeit sich der Notwendigkeit zu stellen.“

„Ja, du hast natürlich Recht“, nun fiel auch Nomos Laune. „Ich geh und packe meine Sachen für die Reise zusammen.“ Er folgte den beiden voran gegangenen Ordensbrüdern in das zweite Zimmer. „Ich hoffe nur, dass das neue Versteck wenigstens im Ansatz mit diesem Mithalten kann“, murmelte er mürrisch vor sich hin.

Kaum war er aus Marburs Hörweite gab dieser leise die ernüchternde Antwort auf Nomos Entgegensehen. „Leider nicht, mein Freund. Leider nicht mal im erhofften Ansatz.“