Lesezeichen am Stück 17
Auf ewig Dunkel
S. 145

„Setz dich Akinna, setz dich doch“. Die zwei Zimmer des kleinen Stadthauses, die Schmorell bewohnte, waren nicht sehr geräumig, boten aber dennoch oder gerade deswegen zahllose Stolperfallen. Aber sein Heim war ihm so vertraut, dass er mühelos von einer Ecke in die andere gehen konnte, ohne auch nur eine fühlende Hand auszustrecken. Es faszinierte Akinna immer wieder aufs Neue, mit welch Sicherheit und Genauigkeit er kochendes Wasser aus dem Kessel schöpfte, welches auf seinem gusseiserenen Ofen vor sich hin dampfte und es zum Aufbrühen der Brennnesselblätter zu einem wohltuenden Tee eingoss.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du mich schon so bald wieder besuchen kommst“, brachte er sein Erstaunen zum Ausdruck. Seine Stimme klang alt und gequält, so als würde ihm das sprechen schwer fallen. Nomos hatte ihr mal erklärt, seine Stimmbäder hätten unter seinem Schreien so sehr gelitten, dass sie an Festigkeit verloren haben, wie eine über die Jahre ausgedehnte Bogensehne.

„Ich habe hier etwas zu erledigen und dachte mir du freust dich vielleicht, wenn ich bei dir reinschaue“. „Du könntest jeden Tag vor meiner Tür stehen. Es gäb keinen, an den ich mich nicht freuen würde“. Sie lächelte dankbar über seine herzlichen Worte, als er ihr den warmen Becher in die Hand gab.

„Du bist der Beweis dafür, dass mein Leben ein Sinn hatte. Das der ewig und immer noch anhaltende Kampf nicht vergebens war und ist. Das dieses Opfer“, er deutete auf die beiden vernarbten Stellen in seinem Gesicht, wo einst blaue, entschlossen funkelnde Augen strahlten. „…nicht das Resultat ist, einer Ideologie nachzueifern, die bereit im Ansatz Tod war.“

Akinna stand auf und nahm die faltige Hand des alten Mannes in die ihre. „Gerade jetzt ist hier in Blommer ein Junge, in den ich viel Hoffnung setze.“ Sie zog ihre glatte Stirn nachdenklich kraus. „Er macht zwar nicht den Anschein“, sagte sie mit einem Zweifel im Ton, „aber es gibt vieles was darauf hindeutet, dass er unseren Wiederstand neue Kraft verleihen wird. Vielleicht kommt schon in Kürze der Tag, an dem dir Gerechtigkeit wiederfährt und die Missetäter, die dir das angetan haben büßen müssen.“

„Deine Worte geben mir Hoffnung, Akinna“, sagte Schmorell und schaute zu ihr auf, als könne er sie doch irgendwie sehen. „Aber mein Schicksal ist nun unbedeutend. Sie haben mir die Augen heraus gebrannt, weil ich Parolen gegen die Unterdrückung an die Wände schrieb. Wenn es tatsächlich zu einem Umsturz kommt, ist das mehr als jede Wiedergutmachung die ich mir wünschen kann.“

Akinna setzte sich zurück auf ihren Stuhl und nippte an dem heißen Getränk. Schweigend saßen sie da und durchstreiften ihre Gedanken von Hoffnung und Glaube.