Lesezeichen am Stück Nummer 7
Unmut
S.9

„Wie habe ich mich nur versündigt?“ Die Schritte auf den ausgetretenen Steinstufen musste sie mit Bedacht setzen. Ein Sturz in ihrem Alter konnte schnell das Ende bedeuten. „Welch Prüfung muss ich noch stand halten, bis mein bedingungsloses Folgen, den uns allen auferlegten Gebote, mir mit Glückseligkeit entlohnt wird.“ Das alte, knittrige Gesicht verzog sich zu einer von Grund auf hasserfüllten Fratze. „Dieser unverschämte Bengel. Ärger. Von klein auf macht er uns nur Ärger. Und jetzt das.“

Die Treppe hatte sie von dem Stubentrakt der Schwestern hinunter zu den Gemeinschaftsräumen geführt. Mit ihrem leicht buckligen Gang durchquerte sie den noch leeren Speisesaal. „Einen wunderschönen und gesegneten guten Morgen wünsche ich dir, Arundel.“ Das füllige Gesicht von Schwester Casale war in der Durchreiche zur Küche erschienen und strahlte sie an, als wolle sie die Sonne ersetzen, die es selber noch nicht über den Baumwipfeln des Kampen geschafft hatte.

„Von wegen wunderschön“, murmelte sie zurück und behielt dabei ihren Habichtblick stur auf ihr Zwischenziel, dem vorderen Eingang zum Saal. „Wenn meine Aufgabe darin bestände, meinen Wams nicht vorm warmen Herd weg nehmen zu müssen, während ein paar Eier vor mir in der Pfanne brutzeln, dann hätte vielleicht auch ich einen wunderschönen guten Morgen.“

Erneut stieg sie eine der steilen Wendeltreppen hinunter. „Und wenn der mir gleich wieder mit irgend welcher unverschämten Ausreden kommt, dann setzt es aber richtig was.“ Vor einer schweren Holztür stehend, kramte sie einen faustgroßen Eisenring hervor und suchte unter den dort hängenden Schlüsseln den richtigen. „Ich weiss, der Tag wird kommen, wo mir dieser verdorbene Rüpel das Kopfgebinde meines Habit herunter reißt. Aber dann …“

Sie drehte den Schlüssel im Türschloss.

Lesezeichen Nummer 8